Mit rund 11 Stunden ab Frankfurt fällt der Flug in die Wirtschaftsmetropole Chinas, Shanghai, unter (Sehr-) Langstrecke. Vor fast 25 Jahren bin ich die zuletzt geflogen. Damals empfand ich Shanghai, auch im Kontrast zu Hongkong, nicht als Traumziel, für das man sich einen halben Tag lang in ein Flugzeug setzt.
Das Shanghai der grauen Neunziger
Ich erinnere mich an graue Betonsiedlungen, die VW Santana-Taxis und hunderttausende Fahrräder. Spätsozialistisches Trübsal. Schaute man von der Uferpromenade über den Huangpu, sah man auf der gegenüberliegenden Pudong-Seite nichts als den eben fertiggestellten Fernsehturm. Er galt damals als höchstes Bauwerk Asiens. In den hinfälligen Straßen der Altstadt überwog der Schmuddel. Gastronomie mit Trinkhallen-Anmutung. Nichts von dem lokalen Charme asiatischen Street Foods. Auch nichts, was entfernt an die China-Restaurants in Deutschland erinnerte. Im Stadtbild indes – da und dort Großbaustellen, auf denen, wie Inseln aus dem Nichts, Wolkenkratzer in den Himmel wuchsen. Sie nannten sie „Business-Center“. Das war 1995.
Shanghais Großer Sprung in die Zukunft
Heute sind die „Business-Center“ so nicht mehr zu erkennen, weil gefühlt die ganze Stadt aus Wolkenkratzern besteht. Vom Flughafen Pudong kommend erreicht man sie über eine beeindruckende Verkehrsinfrastruktur, wie sie kaum eine westeuropäische Metropole aufzuweisen hat. In Moskau vielleicht oder Dubai sieht man Vergleichbares. Alternativ nimmt man den Transrapid.
Eine irritierende Besonderheit sind die sich alle paar hundert Meter über die Fahrbahn spannenden Kontrollbrücken (ähnlich unseren Mautbrücken), von denen es dauernd blitzt. An jeder befinden sich mehrere Kameras mit Blitzern in jeder Fahrtrichtung. Die Blitzdichte erreicht im Stadtzentrum ihr Maximum – man wird alle paar Minuten fotografiert, einfach so. Ich weiß nicht, wie die das Datenvolumen bewältigen. Mein Bewegungsprofil in der Stadt jedenfalls dürfte nachhaltig dokumentiert sein. Verloren gehen kann ich nicht. Hier nicht und überall da, wo ich in den nächsten Tagen im Land unterwegs sein werde.
Abgesehen von diesem gewöhnungsbedürftigen Auswuchs digitaler Modernität wirkt China insgesamt digital-affin. Ich meine nicht nur Verkehrsleitsysteme, Fassadengestaltung oder das selbstverständliche mobile Breitbandnetz, sondern auch die vollständige, digitalisierte Erfassung samt Fingerabdrücken und Gesichtsfoto bei der Einreise und beim Einchecken im Hotel. Selbst der Zutritt zum KP-Museum in der Altstadt wird nur gegen Daumen-Scan gewährt. Auch bezahlt wird überall bargeldlos per Smartphone-App. Geld oder Kreditkarten scheinen out.
An den grün-weißen Nummernschildern erkennt man Elektrofahrzeuge. Es sind auffallend viele in der Stadt. Auch deutsche Auto-Marken, Busse und Scooter fahren hier in signifikanter Zahl elektrisch. E-Scooter haben das Fahrrad weitgehend ersetzt. Wie Nähmaschinen surren sie auf eigens ausgebauten Fahrspuren durch die City. Luft- und Lärmbelastung fühlen sich nicht schlechter an als in anderen Großstädten. Die restriktive Vergabe der teuren privaten Kfz-Zulassungen per Auktion mag neben E-Mobilität und grüner City dazu beitragen.
Authentischer Charme im „Chinesenviertel“
Tourismus: Zwischen Geheimtipp und Hotspot
Shanghai 2019 ist eine blitzblanke Touristen-Destination und hat einiges zu bieten. Zum Beispiel „The Bund“, die Uferpromenade am Fluss. Auf der Altstadtseite kontrastieren die klassizistischen Bauten der Kolonialzeit mit den Glastürmen der Moderne – abends mit sehenswerten Lichtinstallationen. In der Altstadt selbst reiht sich Kleinod an Kleinod, vom authentischen „Chinesenviertel“ mit seinen Boutiquen und Bars bis zu den von Platanen gesäumten, schattigen Alleen der Französischen Konzession, schicke Ladenzeilen und hippe Gastronomie inklusive. Trotz allfälliger Betriebsamkeit – man fühlt sich relaxt und sicher im abendlichen Shanghai.
Wir fahren auf die Pudong-Seite und parken in einer Tiefgarage am Shangri-La. Man wähnt sich in Manhattan, und der Fernsehturm ist von Wolkenkratzern umstellt, die ihn z.T. um hundert Meter und mehr überragen. Über eine große Freitreppe gelangen wir auf die Promenade, von der man nun umgekehrt den Blick auf die imposante Nachtkulisse der Altstadt von Shanghai hat. Ich lasse meine Begleiter ziehen und versuche mich an ein paar Freihandfotos mit der Kompaktkamera. Jetzt ärgert mich, dass ich, um Gepäck zu sparen, keine bessere Kamera mitgenommen habe.
Andererseits ist die Reise rein geschäftlich, was Abstriche an der Qualität meiner Fotos rechtfertigt. Meine lokalen Begleiter finde ich in ein paar Schritten Entfernung wieder. Sie sind schon zu Tisch – im Paulaner Biergarten von Pudong. Es soll eben ein besonderer Abend werden. Würstel und Bier haben Original-Qualität. Und „richtig chinesisch“ essen werde ich in den nächsten Tagen noch mehr als mir guttut.
Shanghai – Qingdao
Vom zweiten modernen Großflughafen Shanghais, Hongqiao, geht es anderentags weiter nach Qingdao, der Hafenstadt am Gelben Meer. Sie liegt ungefähr auf halbem Weg zwischen Shanghai und Peking. Mit rund 3 Mio. Einwohnern ist sie für chinesische Verhältnisse eher beschaulich. Im Anflug fällt der Blick auf den imponierenden Flughafenneubau, dessen Eröffnung kurz bevorsteht. Wie zuvor in Shanghai bestaune ich eine gute, moderne Verkehrsinfrastruktur, die pulsierende City und eine beachtliche Skyline an der Wasserfront. An diesem Spätsommerabend ist sie gigantische Projektionsfläche für eine fantastische Laseranimation. Eindrucksvoll in Szene gesetztes chinesisches Selbstbewusstsein.
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