Essen in China ist nicht das, was wir unter „chinesisch Essen“ verstehen. Zum einen sind Land und Küche zu vielfältig, als dass man sie unter einem Begriff fassen könnte. Zum anderen kochen in deutschen China-Lokalen die Völker der Welt, bloß keine Chinesen. So offenbart diese Reise den lokalen Teil einer regionalen Kochtradition, und zwar im Original.

Chinesische Küche mit Insekten und Chili
Chinesische Küche mit Insekten und Chili

Chinesische Kochtradition im Original

Eselschlachtung in Anqiu, Provinz Shandong
Eselschlachtung in Anqiu, Provinz Shandong

Am zweiten Abend in Shandong laden die Kollegen in ihr Stammlokal ein paar Straßen weiter. Auf dem Gehweg vor der Tür hat der Schlachter von nebenan auf einer Kunststoffplane eben zwei Esel so zerlegt, dass nur noch Wirbelsäulen und ausgelöste Gliedmaßen wie abgeklaubt am Boden liegen. Direkt vor uns hängen zwei mächtige Keulen zum Abtropfen. Blut rinnt in den Bordstein. Ich ahne, dass, was immer heute an Fleisch auf den Tisch kommt, von einem der beiden Esel stammen wird. Alles gut, schonmal nicht Hund.

Zur Restaurantkultur gehören getrennte Speisezimmer für jede Gästegruppe. Das Geschirr kommt in Folie eingeschweißt und wird vor der Benutzung in einem Wassereimer gespült. Der große Drehteller in der Mitte des immer runden Esstisches ist erstmal noch leer. Jemand erklärt der Bedienung draußen an der Menü-Wandzeitung, was sie bringen soll. Es geht los mit Wasser, Tee, Bier – jeder, was er möchte. Auch Schnaps ist immer gleich dabei. Wird anfangs noch rituell „reglementiert“, in wie vielen Schlucken das Glas zu leeren ist, z.B. acht, heißt es später auch mal „gānbēi“ – das Glas „trocknen“, also „auf Ex“. Es wird ununterbrochen geraucht. Dann bringt jemand die ersten ein-zwei Gerichte. Nachdem man sich bedient hat, reicht man mit einer Drehung der großen Mittelplatte an die Tischnachbarn weiter. Im Laufe der Zeit kommen immer neue Näpfe und Schalen dazu.

Hauptgewürz Chili, neben Knoblauch und Glutamat

Essen in China heißt pikante Vielfalt
Essen in China heißt pikante Vielfalt

Am Ende hat man die Auswahl aus einem guten Dutzend Speisen – Fleisch, Geflügel, Gemüse, Pilze – gebraten, mariniert, frittiert. Neben frischen Kräutern, Knoblauch und vermutlich Glutamat ist das Hauptgewürz frisch gerösteter bzw. geräucherter Chili. Das Essen ist angenehm pikant, manchmal scharf. Reis kommt erstmal nicht auf den Tisch. Vielleicht gilt er als „zu schlicht“. Auf Wunsch bekommt man aber eine sättigende Portion nachgereicht. Mit der Bitte um ein Besteck kann man ein chinesisches Restaurant in Verlegenheit bringen. Ich empfehle Grundfertigkeiten in Stäbchenhandhabung, will man nicht mit den Fingern oder einem rosa Babylöffel essen.

Meine Initiierung als Insektenesser

Frittierte Heuschrecken, pikant gewürzt - leckerer Snack zum Diner in Linyi
Frittierte Heuschrecken, pikant gewürzt – leckerer Snack zum Diner in Linyi

Am Tag danach muss ich mir für die Morgentoilette mehr Zeit nehmen, auch wiederholt. Trotz solcher Vorkehrungen verlangt mir die stundenlange Autofahrt nach Linyi einiges an Körperbeherrschung ab. Magen-Darm rebellieren. Da musst du durch, sage ich mir, als wir uns abends für einen weiteren Restaurantbesuch an der Rezeption treffen. Am Eingang zum Lokal steht ein Hamsterkäfig, in dem ein magerer Hund winselnd offensichtlich um sein Leben bettelt. Ob es später zum Schnaps Hund gibt, weiß ich nicht. Jedenfalls erlebe ich meine „Initiierung“ als Insektenesser – es gibt, neben sonstiger Hausmannskost, Heuschrecke pikant frittiert. Die schmeckt nicht mal schlecht, und ich lange ordentlich zu. Mir graut vor dem Morgen danach.

Szechuan Pfeffer

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Das Schärfste – die Küche Südchinas

Szechuan Pfeffer, Chili und Knoblauch sind charakteristisch für die Küche Südchinas
Szechuan Pfeffer, Chili und Knoblauch sind charakteristisch für die Küche Südchinas

Vor der Rückfahrt in die Firma geben meine Gastgeber nochmal alles. Wir halten an einem Restaurant mit „südchinesischer Küche“ in Tancheng, einem Vorort von Linyi. Was die freundliche Bedienung zum Lunch serviert, ist ein kulinarischer Hingucker: Dunkelroter Eintopf aus geschnittenen Chili mit ein paar Handvoll ganzer Szechuan-Pfefferfrüchten. Eine höllische Kombination aus trigeminalem Brennen und prickelnder Taubheit auf der Zunge. Die Einlage aus Innereien und frischen Sprossen schmecke ich schon nicht mehr, als ich nach dem ersten Bissen mit „Maulsperre“ nach kaltem Wasser giere. Die Kollegen reichen Bier, das wenig Linderung schafft, und ich halte mich an lecker Schwein und Gemüse in der Hoffnung auf mildere Schärfe. So esse man im warmen Südchina, erfahre ich im Gespräch, und dass in Shanghai eher süß-sauer gekocht wird. Aber da hatten wir ja Würste und Kraut.

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„Shandong – Chinas Knoblauch und Gewürze“

„China – Wiedersehen mit Shanghai“

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