Geschichte der Gewürze und des Gewürzhandels
Inhaltsverzeichnis
1. Intro
2. Haben Gewürze eine Geschichte?
3. Die austronesische Linie in der Geschichte des Gewürzhandels
4. Gab es eine vorchristliche Zimtroute?
5. Gewürze und Gewürzkräuter ‚trenden‘ schon in Altertum und Mittelalter
6. Aufstieg Venedigs und Gewürzboom in Europa
7. Araber und Osmanen als Torwächter zu den Ursprüngen der Gewürze
8. Portugal, Spanien und die ursprüngliche Aufteilung der Welt
9. Portugiesisch-Indien und der Niedergang Venedigs
10. Hollands brutale Optimierung des Gewürzmonopols
11. England und Frankreich mit späten Nebenrollen im globalen Gewürzhandel
12. Globalisierung und Alltäglichkeit von einstigem Luxus
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Intro
Gewürze und Gewürzkräuter sind keine Erfindung der Menschheit. Vielmehr besiedeln sie die Erde lange vor Adam und Eva. Der Mensch lernt sie zu verwenden und Nutzen aus ihnen zu ziehen. Gewürze und Gewürzhandel beeinflussen den Gang der Weltgeschichte und befördern den Aufstieg und Niedergang ganzer Imperien. Sie treiben die Entwicklung von Fertigkeiten wie der Seefahrt, Technologien wie dem Schiffbau und Wissenschaften wie der Geografie entscheidend voran. Anfang des 16. Jhs. gehören sie zu jenen Triebkräften, die Europa aus dem Mittelalter in die Neuzeit führen. So ist die Geschichte der Gewürze und des Gewürzhandels mal eine Geschichte von Essen und Heilen, mal von Erkenntnis und Erbauung. Und bis in die späte Neuzeit ist sie immer auch eine von von Mord und Totschlag um Macht und Profit.
Haben Gewürze eine Geschichte?
Mein Thema ist zwar die ‚Geschichte der Gewürze‘, gemeint ist aber eigentlich der Gewürzhandel. Er bringt die Wertschöpfung hervor, derentwegen sich Flotten in Bewegung setzen und Nationen gegeneinander Krieg führen. Gewürze haben keine Geschichte, sie sind ewig. In Bezug auf sie werden wir an anderer Stelle über botanische Ursprünge, phytochemische Inhaltsstoffe und Sensorik zu sprechen kommen.
Es wird im weiteren von der Seidenstraße die Rede sein und von den Gewürzrouten. Ich finde es richtig, die beiden Begriffe auseinanderzuhalten, auch wenn sie einiges miteinander zu tun haben. Unter Seidenstraße verstehe ich die Landrouten aus China durch Zentral- und Westasien bis in den vorderen Orient und den Mittelmeerraum. Natürlich kamen über sie auch Gewürze nach Europa. Mit Gewürzrouten meine ich die Seewege, die Ostindien mit Indien, Persien, der arabischen Halbinsel, Ostafrika und Westeuropa verbinden. Sie werden es schließlich sein, die den Handel über die Seidenstraße zum Abflauen bringen.
Noch ein Wort zu den ‚Großen Entdeckungen‘, die im gewürzgeschichtlichen Kontext gemacht werden oder eine Rolle spielen. Die Entdeckung Amerikas, der Seeweg nach Indien um das Kap der Guten Hoffnung, Magellanstraße, erste Pazifiküberquerung, erste Weltumsegelung …
In ihrer Behandlung nehme ich eine eurozentrische Ausschließlichkeit wahr, die wichtige Entwicklungen in anderen Weltgegenden gerne ausblendet. Als ob es ohne Kolumbus, Cortés und Pizarro die Amerikas und ihre hochentwickelten Kulturen nicht gegeben hätte. Oder als ob die Bewohner Ostindiens (Indonesien, Malaysia, Indochina, Philippinen) bis zum segenstiftenden Eintreffen von Portugiesen und Holländern auf Bäumen gelebt hätten.
Man macht nichts falsch, wenn man in einer geschichtlichen Betrachtung auch mal die Perspektive der Betrachteten einnimmt. Weil ich das tue, gelange ich zu der Vermutung, dass wichtige weltentdeckerische Entwicklungen nicht in Europa, sondern im fernen Asien ihren Ausgangspunkt hatten. Und das könnte in Bezug auf die Gewürzgeschichte neue Facetten beisteuern.
Die austronesische Linie in der Geschichte des Gewürzhandels
Die Anfänge der Geschichte des Gewürzhandels liegen womöglich viel früher als gemeinhin angenommen. Den Ursprung dieser Geschichtslinie lege ich in die Zeit um 3000 v.Chr. in das südliche China. Dort wachsen damals schon Ingwer, Sternanis und Sanshopfeffer. Aber die sind jetzt nicht mein Thema.
Vielmehr geht es um den Beginn von Jahrhunderte währenden maritimen Migrationsbewegungen, in der ganze Völker in primitiven Booten in mehreren Migrationslinien von China aus einmal südostwärts über Taiwan und die Philippinen in den Südpazifik und bis zur Osterinsel und zum anderen südwestwärts über Borneo, Java und Sumatra bis nach Madagaskar vordringen. So entsteht der austronesische Sprach- und Kulturraum, ein riesiges Seegebiet von Madagaskar im Westen bis zur Osterinsel im Osten, von Südchina im Norden bis nach Neuseeland im Süden (Australien gehört nicht dazu).
Was heisst das nun für Pfeffer, Nelke und Muskat? Zunächst, dass Menschen in Doppelauslegerkanus den Pazifik in West-Ost-Richtung befuhren, viele Jahrhunderte bevor Magellans Rumpf-Flotte ihn von Feuerland kommend in der Gegenrichtung überquerte. Und dass die Austronesen von Borneo, Java und Sumatra aus schon über den Indischen Ozean nach Ostafrika segelten, als man in Europa noch glaubte, Afrika sei unten mit der Antarktis verwachsen. Wenn es stimmt, dass sie auch um das Kap herum bis nach Ghana fuhren, wären sie Europa nautisch um Jahrhunderte voraus gewesen.
Radiocarbon, Vol 57, Nr 2, 2015, p 265–283 DOI: 10.2458/azu_rc.57.18562 © 2015 by the Arizona Board of Regents on behalf of the University of Arizona
On the beginnings of South Asian spice trade with the Mediterranean region: A review
Ayelet Gilboa
Zinman Institute of Archaeology, University of Haifa, Israel. Corresponding author.
Across the Indian Ocean: the prehistoric movement of plants and animals
Dorian Q Fuller, Nicole Boivin, Tom Hoogervorst & Robin Allaby
Gab es eine vorchristliche Zimtroute?
Als Kind habe ich die Bücher von Thor Heyerdal verschlungen – Kon Tiki, Tigris, die Ra-Expeditionen. 1970 gelingt dem Norweger mit der Ra-2, einem Papyrus-Boot, das nach alten Wandreliefs der Ägypter gebaut war, eine sensationelle Atlantiküberquerung. Dreiunddreißig Jahre später, im September 2003, startet im Hafen von Jakarta erneut ein solches Abenteuer: Der Brite Phillip Deale und seine 15köpfige Besatzung wollen auf einer Borobodur-Schiff-Replica den Indischen Ozean überqueren. Er will zeigen, dass Ostafrika bereits in vorchristlicher Zeit von Indonesien aus per Boot erreichbar war. Tatsächlich erreicht es nach 26 Tagen die Seychellen und wenig später Madagaskar.
Die bis dahin nur hypothetische ‚Cinnamon Route‘, eine maritime Zimtroute aus Südostasien direkt nach Ostafrika, gilt damit als belegt. Lange vorher kann schon anthropologisch und sprachwissenschaftlich gezeigt werden, dass die ersten Spuren menschlicher Besiedelung auf Madagaskar von etwa 350 v.Chr. auf austronesische Seefahrer zurückgehen. Die entwicklungsgenetisch engsten Verwandten der Madegassen leben so heute immer noch auf Borneo (Kalimantan). Und – Madagaskar ist tatsächlich ein wichtiger kommerzieller Ursprung u.a. für Zimt, und zwar sowohl C. verum als auch C. cassia. Insoweit dürfte es für die Geschichte der Gewürze von einiger Relevanz sein.
Den Einwand, Beales Replica basiere auf einem Schiffstyp aus dem 8. Jh. n.Chr., erwidert er mit Plinius dem Jüngeren (ca. 61-113 n.Chr.), in dessen frühen Schriften schon beschrieben stehe, wie der Zimt auf großen Flößen über die raue See gekommen und durch Äthiopien hindurch nach Norden verbracht worden sei.
So lässt die austronesische Zimtroute zumindest Raum für weitergehende Interpretationen hinsichtlich der Anfänge und Routen des Gewürzhandels.
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Gewürze und Gewürzkräuter 'trenden' bereits in Altertum und Mittelalter
Archäologische Funde belegen die Verwendung von Gewürzen wie Kümmel und von Kräutern wie Dill für Nordafrika und Europa bereits in der Jungsteinzeit. In der Antike werden Kräuter als Grabbeigabe und in Tinkturen für die Balsamierung Verstorbener verwendet.
Erste exakt datierbare Gewürzverwendungen gehen zurück auf die Mumie von Ramses II., der von 1279 bis 1213 v.Chr. über Ägypten herrschte. Im Bauchraum und den Nasenhöhlen der Mumie wurden Körner von Piper nigrum, Schwarzem Pfeffer, gefunden, die offensichtlich Teil des Mumifizierungsprozederes waren und mit radiografischen und botanischen Methoden auch als solche identifiziert werden konnten.
Demnach gibt es bereits im zweiten Jahrtausend v.Chr. maritimen Gewürzhandel zwischen dem Südwesten Indiens (Kerala – nur dort wuchs Pfeffer zu jener Zeit), Arabien, Persien und Ostafrika auf meist küstennahen Seewegen im Indischen Ozean, dem Persischen Golf und dem Roten Meer. Gewürze wie Pfeffer, Kardamom und Ingwer gelangen so damals über den Nil nach Ägypten und später über das junge Alexandria ins Römische Reich.
Die Römer bevorraten sich mit orientalischen Waren in sog. Horrea piperataria – Pfefferlägern, die seit der Dynastie der Flavier (69-96 n.Chr.) überall in Rom entstehen. Senf, Koriander, Kreuzkümmel, Dill, Thymian, Knoblauch, Zwiebeln, Fenchel, Safran, Kardamom und vor allem Pfeffer lagern sie hier. In den ersten Jahrhunderten n.Chr. praktizieren sie Pfefferzölle – in Form von Pfeffer oder Gewürzen zu entrichtende Abgaben – entlang der Handelsstraßen innerhalb ihres Imperiums. Später werden sie sich mit Pfefferzahlungen von den Brandschatzungen der Goten freikaufen.
Um 50 n.Chr. beschreibt der Grieche Dioskurides in seiner ‚Materia Medica‘ mehrere Sorten Kassia, die ‚im gewürzliefernden Arabien wachsen‘.
Karl der Große läßt um 800 mehrere Dutzend heimische Pflanzen auf eine Liste nützlicher Kräuter setzen und ihren nachhaltigen Anbau organisieren.
Die pfälzische Äbtissin Hildegard von Bingen wird anfangs des 12. Jhs. die heilenden Wirkungen von einheimischen Pflanzen wie Lavendel bei der Behandlung von Krankheiten beschreiben.
Es gilt als plausibel, dass die Erzählungen über Sindbad den Seefahrer, der wahrscheinlich im 11. oder 12. Jh. von Basra aus Ostindien erreicht, mit dem frühen maritimen Gewürzhandel und so mit der frühen Geschichte der Gewürze in Verbindung stehen.
Aufstieg Venedigs und Gewürzboom in Europa
Ab dem 12. Jh. kommt es mit den Kreuzzügen, die dem christlichen Europa den Zugriff auf die nahöstlichen Handelsplätze öffnen, zu einer Art ursprünglichem Gewürzboom in Europa. Venedig und Genua monopolisieren den Gewürzhandel zwischen den mediterranen Häfen und Europa. Nördlich der Alpen werden Nürnberg und Augsburg (Fugger) zu wichtigen Handelszentren. Umschlagplätze im Nahen Osten liegen an den Endpunkten der Seidenstraße – Konstantinopel und Levante-Häfen bzw. der Karawanenwege der Händler aus dem Süden der arabischen Halbinsel – Alexandria.
Um 1393 soll in Deutschland ein Pfund Muskatnuss so viel kosten wie sieben schlachtreife Ochsen. Gewürze erhalten den Rang von Zahlungsmitteln. Warenpreise werden in Pfefferkörnern ausgewiesen und Kommunen setzen ihre Etats in physischem Pfeffer fest. Gewürze sind Gold wert und erlauben den Zwischenhändlern Aufschläge von hunderten Prozent. Nach unterschiedlichen Quellen durchlaufen Gewürze auf ihrer Reise von den Ursprüngen in Ostindien zum Verwender in Europa bis zu zwölf Handelsstufen und verteuern sich dabei um den Faktor 30. Solche Profitmargen werden heute nicht einmal im Drogenhandel erzielt.
So sind Ginger Ale und Glühwein wahrscheinlich Überbleibsel einer mittelalterlichen Schickeria-Mode, nach der alles Ess- und Trinkbare überreichlich und teuer exotisch gewürzt wird – wohl auch um der sozialen Geltung willen. Jedenfalls lässt sich nachlesen, dass zu jener Zeit der Gewürzverbrauch in Europa um ein Vielfaches höher liegt als heute. Dieser Fakt spricht dafür, dass Gewürze auf ihrer oft jahrelangen Reise in Jutesäcken über die Seidenstraße viel von ihrer ursprünglichen Aromatik einbüßten. Für Geschmack im europäischen Essen waren deshalb wohl wesentlich höhere Dosen nötig als heute.
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Araber und Osmanen als Torwächter zu den Ursprüngen der Gewürze
Bis zum Beginn des 16. Jhs., als die Portugiesen ein neues Kapitel in der Geschichte der Gewürze aufschlagen, indem sie auf dem Seeweg erst an die Malabarküste, dann nach Hinterindien und schließlich bis auf die Molukken gelangen, ist der Gewürzhandel mit Ostindien und Fernost weitgehend von den Arabern monopolisiert. Sie kontrollieren zum einen weite Teile des Landweges entlang der Seidenstraße, auf der sie Naturalzölle kassieren. Zum anderen fahren sie selbst zur See und bringen auf ihren Dhaus mit dem Monsun Zimt, Nelken, Muskat und Pfeffer von Indien und dem Gewürzhafen Malakka auf der malayischen Halbinsel nach Sansibar, Aden und Oman, von wo Kamelkarawanen sie durch die Wüsten Arabiens über Jiddah und Suez bis an die Küsten des Mittelmeers transportieren. Ab hier übernehmen Venezianer und Genuesen, die mit ihrem Teil des Handelsmonopols ihre Stadtstaaten zu höchster wirtschaftlicher Blüte führen.
Als 1453 Konstantinopel an die Türken fällt und das christliche Byzantinische Reich zerbricht, ändern sich die Spielregeln des Gewürztransits durch den Nahen Osten. Von jetzt an sorgt der Osmanische Sultan für stetig steigende Zölle auf orientalische Luxuswaren, einschließlich Gewürze. Das treibt die Gewürzpreise in Europa in solche Höhen, die es für die europäischen Seemächte Spanien und Portugal lohnend machen, nach alternativen, unabhängigen Gewürzrouten über das Meer suchen zu lassen. Beide Herrscherhäuser einigen sich 1494 im Vertrag von Tordesillas im Grundsatz, die Welt so untereinander aufzuteilen, dass Spanien die westliche und Portugal die östliche Hemisphäre jeweils für sich erkunden.
Portugal, Spanien und die ursprüngliche Aufteilung der Welt
Gewürze als globales Handelsgut haben jetzt eine weltwirtschaftliche Bedeutung wie Erdöl und Erdgas im 20. Jh.. Kolumbus’ Expeditionen ab 1492 werden von der spanischen Krone finanziert, um den Seeweg nach Indien, sprich zu den Ursprüngen der Gewürze zu finden. Die überraschende Wieder-Entdeckung Amerikas ist ein historisch bedeutender Nebeneffekt, aber nicht Ziel dieser Reisen.
Allerdings ist die Ausbeute an Gewürzen auf der spanischen Seite der Welt eher bescheiden. Kolumbus und später Cortés bringen wohl immerhin die bis dato unbekannten Chili, Vanille und Piment aus Mittelamerika nach Europa mit. Mehr aber auch nicht. Vasco da Gama und Alfonso de Albuquerque auf der portugiesischen Seite machen da mit ihren Landnahmen in Indien, Ceylon, Java, auf den Molukken und an der südchinesischen Küste schon mehr Furore: Neben gefragtem Pfeffer, Ingwer und Kardamom vom indischen Subkontinent oder Canehl (Zimt) aus Ceylon sind es vor allem Muskatnuss und Gewürznelke von den hinterindischen Molukken, die Portugals Aufstieg zur Kolonialmacht im 16. Jh. entscheidend befördern.
Die 1494 in Europa unbekannten Molukken sind im Vertrag von Tordesillas nicht erwähnt. Als Portugal dort erfolgreich sein Gewürzmonopol aufzieht, sieht sich Spanien unter Zugzwang. Die Alternative zur portugiesisch kontrollierten Gewürzroute um das Kap der Guten Hoffnung könnte in dem westlichen Seeweg bestehen, den Christoph Kolumbus zuvor schon suchte. Ironischerweise ist es der Portugiese Ferdinand Magellan, dem die spanische Krone eine Flotte anvertraut, die diesen Seeweg nun finden soll. Tatsächlich erreicht er 1521 die Philippinen, wo er in einem Gefecht mit Eingeborenen umkommt. Bis dahin hat er die nach ihm benannte Meerenge in Südamerika und den Pazifik entdeckt. Es ist sein Bootsmann d’Elcano, der auf der ‚Victoria‘ Ende 1521 die Molukken und 1522 mit einer Schiffsladung Gewürze wieder spanisches Festland erreicht. Die erste Weltumsegelung ist vollzogen und damit nebenbei die Kugelform der Erde praktisch bewiesen. In den ostindischen Gewürzhandel wird Spanien allerdings nie entscheidend eingreifen – Karl V. überlässt seine Ansprüche auf die Molukken 1529 für 350.000 Golddukaten den Portugiesen.
Portugiesisch-Indien und der Niedergang Venedigs
Anfang des 16. Jahrhunderts ist das arabische Gewürzmonopol gebrochen und durch das portugiesische ersetzt, für das Kamelkarawanen über die Seidenstraße oder die arabische Halbinsel überflüssig sind. Portugal kontrolliert jetzt Gewürzanbau und Gewürzhandel von Goa und Kalikut (Indien) bis Banda Neira und Ternate (Molukken). Die neue Gewürzroute verläuft quer über den Indischen Ozean, um den afrikanischen Kontinent herum nach Norden bis nach Lissabon, Amsterdam und Hamburg. Venedig und Genua verlieren ihre privilegierte Stellung durch das Abflauen des Levante-Handels und treten in eine Phase des wirtschaftlichen Niedergangs ein. Neuzeitliche Kriege zwischen europäischen Mächten entbrennen nicht mehr nur aus religiösem Zwist und dynastischem Gehabe. Jetzt fließt europäisches Blut auch in den entferntesten Weltgegenden um Seewege und Kontrolle der Gewürzursprünge.
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Hollands brutale Optimierung des Gewürzmonopols
Ende des 16. Jhs. (ab 1580) gerät Portugal mangels eigenen Thronfolgers in die Personalunion mit Spanien und damit auch in Konflikt mit dessen Feinden, vor allem der aufstrebenden Seemacht Niederlande. Zu Beginn des 17. Jhs. gelangen fast alle portugiesischen Besitzungen von Brasilien über Afrika bis nach Ostindien für viele Jahrzehnte in die Hände der Niederländer. Portugiesisch-Indien geht unter und der globale Gewürzhandel an die Niederländer. Anders als die Portugiesen, die mit den Einheimischen der Gewürzursprünge privilegierten Handel treiben, setzen die Holländer auf Eroberung, Besetzung und Aneignung. Mit ihrer Vereinigten Ostindien Companie schaffen sie 1602 ein frühkapitalistisches Instrument zur systematischen Ausbeutung der Gewürzursprünge. Die paramilitärisch agierende, fahrende Kaufmannschaft massakriert und versklavt die Einheimischen, stellt illegalen Gewürzanbau und -handel unter Strafe und verknappt Erzeugung und Angebot durch Vernichtung ganzer Ernten und Brandrodungen wie auf Tidore und Ternate. Die holländische Herrschaft über die Gewürzinseln ist zweifellos das brutalste Kapitel der Gewürzgeschichte.
Bis in das 18. Jh. hinein ist der globale Gewürzhandel durch profitsichernde Monopole geprägt. Den Arabern genügt es noch, ihre Bezugsquellen zu verheimlichen bzw. die Suche nach ihnen mit absurden Schauermärchen als riskant und aussichtslos darzustellen. Portugiesen und Niederländer dagegen führen blutige Kriege um die Hoheit über Ursprünge und maritime Routen. Anfang des 17. Jhs. mischt auch England noch mit, das auf den kleinen Molukkeninseln Rhun und Ai seine erste Kolonie errichtet. Den blutigen Belagerungen der Niederländer weicht England schließlich und tauscht Rhun 1667 im Frieden von Breda gegen New Amsterdam, das heutige New York.
England und Frankreich mit späten Nebenrollen im globalen Gewürzhandel
Unterlaufen werden die Gewürzmonopole zunächst im Verborgenen von den Franzosen, die im 18. Jh. zwar traumhafte Tropeninseln wie Ile Bourbon und Mauritius annektieren können, dort aber kaum nutzbare Flora vorfinden. So lässt der Statthalter der französischen Überseeterritorien, Pierre Poivre, 1769 Samen und Setzlinge von Gewürznelken und Muskatnussbäumen bei Nacht und Nebel von den niederländischen Molukken schmuggeln und nach Mauritius bringen, um sie dort heimisch zu machen und systematisch anzubauen. Sein Erfolg hält sich zumindest auf Mauritius in Grenzen. Die Gewürzgeschichte schreibt auch solche Anekdoten..
Zur Zeit der britischen Herrschaft im Indischen Ozean gelangen um 1810 Gewürznelke und Muskatnuss von der in La Réunion umbenannten Ile Bourbon nach Sansibar, wo zunächst noch der Sultan von Oman regiert und deren forcierten Anbau zur nationalen Aufgabe erklärt. Bis in die zweite Hälfte des 20. Jhs. hält Sansibar danach mit 90 Prozent des Weltaufkommens erneut ein Nelkenmonopol, das mit dem Markteintritt Indonesiens und dem folgenden dramatischen Preisverfall ab etwa 1980 aber zusammenbricht.
Den Muskatnussbaum bringen die Briten später auch in die Karibik, wo bis heute das kleine Grenada eine Großmacht bei Muskatnuss und Macis ist. Gleichwohl spielt dieses kleine Monopol heute angesichts der globalen Diversifizierung der Ursprünge und der vergleichsweise moderaten Nachfrage nicht mehr die Rolle wie zur Zeit der Portugiesen und Niederländer.
Ein anderes, natürliches Monopol umgehen die Franzosen quasi technologisch. Es geht um die in Mexiko heimische und von Spanien kontrollierte Vanille, die in Europa jetzt gefragt, aber fast unerschwinglich ist. Sie wächst und blüht zwar seit Jahren auch auf Ile Bourbon, bringt aber keine Früchte hervor. Nur die ausschließlich in Mittelamerika vorkommende Melipona-Biene kann Vanilleblüten bestäuben und so die Fruchtbildung – das Wachsen von Vanilleschoten auslösen. Das ändert sich, als es 1841 dem Sklaven Edmond Albius auf La Réunion erstmalig gelingt, Vanilleblüten unter Zuhilfenahme eines Kaktusstachels unter Freilandbedingungen künstlich zu bestäuben. Die Bourbon-Vanille ist geboren und das mexikanische Monopol gebrochen.
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Globalisierung und Alltäglichkeit von einstigem Luxus
Heute kommt Pfeffer eher aus Vietnam oder Brasilien denn aus Indien, Muskat sehr wahrscheinlich von Grenada und Vanille aus Madagaskar. Ihre globale Erzeugung nimmt Gewürzen die einstige Mystik und Exotik ferner, unbekannter Länder und macht sie zu hochverfügbaren Alltagsprodukten. Als 1869 der neueröffnete Suez-Kanal die Gewürzrouten nach Europa um Wochen verkürzt, mag das kaum noch Impulse für die Geschichte des Gewürzhandels geben. Mit dem Beginn der Industrialisierung verlieren Gewürze das Luxuriöse. Aus dem Statussymbol wird eine Kochzutat. Manhattan ist prosperierender Hotspot der globalen Finanzindustrie, die Banda-Insel Rhun, gegen die es einst eingetauscht wurde, ein vergessenes Eiland unter Palmen. Am Persischen Golf mit dessen Öl und Gas und in China als Ursprung und Absatzmarkt gleichermaßen liegen jetzt die Terminals der modernen ‚Gewürzrouten‘. Auf den Frachtern des digitalen Zeitalters sind Pfeffer, Nelken und Muskat derweil nur noch duftende Beiladung.